Wandel in der Rechtsprechung:
War es bisher herrschende Meinung in der Rechtsprechung, dass ein Überstundenausgleich in der Höhe des Grundlohns für Teilzeitkräfte keine Ungleichbehandlung darstellt, hat das BAG jetzt seine Auffassung geändert. Nicht-Vollzeitbeschäftigte dürfen tarifliche Mehrarbeitszuschläge verlangen – und zwar auch für Überstunden, die die wöchentliche Arbeitszeit nicht auf das Niveau einer Vollbeschäftigung bringen.
Grundlohn oder Überstundenzuschlag?
Teilzeitbeschäftigte dürfen nicht diskriminiert werden. Dies ergibt sich aus dem Wortlaut des § 4 Abs. 1 TzBfG (Teilzeit- und Befristungsgesetz). Nur sachliche Gründe rechtfertigen eine unterschiedliche Behandlung von Vollzeit- und Teilzeitkräften. Und für das Arbeitsentgelt gilt gemäß § 4 Abs. 1 Satz 2 TzBfG, dass dieses dem Anteil eines vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmers entsprechen muss. Doch wie sieht es mit den Überstunden aus? Das Gesetz ist hier nicht eindeutig. Denn grundsätzlich ergeben sich zwei denkbare Möglichkeiten:
- Der Teilzeitbeschäftigte erhält für Überstunden, die nicht die Vollzeitgrenze übersteigen, den Grundlohn. Beispiel: Bei 30 Wochenarbeitsstunden werden tariflich geregelte Mehrarbeitszuschläge erst ab der 11. Überstunde bezahlt, wenn die wöchentliche Regelarbeitszeit 40 Stunden beträgt.
- Bereits ab der ersten Überstunde gilt auch für Teilzeitbeschäftigte ein Mehrarbeitszuschlag. Unabhängig vom Vergleich mit der Regelarbeitszeit erhalten auch Teilzeitbeschäftigte für Überstunden mehr als die Grundvergütung.
Beide Auffassungen lassen sich gut begründen. Dass die höhere Überstundenvergütung die Beeinträchtigung der privaten Lebensgestaltung ausgleichen soll, spricht für die die zweite Variante. Bisher folgte die Rechtsprechung jedoch der ersten Meinung. Denn es liege ja keine Ungleichbehandlung vor, wenn der mit 30 Wochenstunden Beschäftigte für die 31. Überstunde denselben Lohn bekommt, den der vergleichbare Vollzeitbeschäftigte für dieselbe Arbeitsstunde erhält. In der Praxis ist dieses Verfahren für den Arbeitgeber auch günstiger.
BAG: Rechtsprechungsänderung zu Mehrarbeitszuschlägen
Diese Rechtsprechung hat das Bundesarbeitsgericht mit Urteil vom 19. Dezember 2018 (Az. 10 AZR 231/18) aufgegeben. Konkret: Der zehnte Senat des Gerichts hat seine entgegenstehende Ansicht (vgl. Urteil vom 26. Juni 2017, 10 AZR 589/15) fallengelassen. Er schließt sich jetzt der Auffassung des sechsten Senats an, der so bereits am 23. März 2017 geurteilt hatte (6 AZR 161/16), und zieht zur Begründung unter anderem § 4 Nr. 1 und 2 der Richtlinie 97/81/EG des EU-Rates der EU vom 15. Dezember 1997 heran.
Der zehnte Senat des BAG hält es nicht für eine Diskriminierung von Vollzeitkräften, wenn Teilzeitkräfte – auch wenn sie insgesamt weniger arbeiten – Mehrarbeitszuschläge für Arbeitsstunden bekommen, die insgesamt unterhalb der Regelarbeitszeit liegen. Denn nicht die Gesamtvergütung sei für die Beurteilung entscheidend, sondern die einzelnen Entgeltbestandteile. Es sei daher vielmehr eine Benachteiligung für Teilzeitbeschäftigte, wenn bei diesen die Arbeitsstundenzahl nicht – wie bei Vollzeitbeschäftigten – in einem proportionalen Verhältnis zur Arbeitszeit bewertet wird. Es entspreche vielmehr höherrangigem Recht, wenn Mehrarbeitszuschläge im Verhältnis zur jeweils individuell vereinbarten Stundenzahl berechnet werden.
Fazit
Gut für Teilzeitbeschäftigte, kostenintensiver für die Arbeitgeber: Das neue BAG-Urteil wird sich deutlich vor allem bei Arbeitnehmern auswirken, die zwar arbeitsvertraglich weniger Stunden beschäftigt sind, aber häufig Überstunden absolvieren. Zu beachten ist hier allerdings, dass in jedem Einzelfall zunächst die tarifvertraglichen Regelungen heranzuziehen sind. Enthalten diese konkrete Bestimmungen darüber, inwiefern Überstundenaufschläge auch für Teilzeitbeschäftigte gelten, sind diese vorrangig – selbstverständlich immer im Lichte der übergeordneten gesetzlichen Regelungen und Grundsätze.
In der Praxis ist die neue Rechtsprechung vor allem für Frauen positiv. Denn Arbeitnehmerinnen haben überproportional niedrigere Arbeitszeiten. Somit ist das BAG-Urteil ein weiterer Schritt hin zur Verwirklichung des Grundsatzes „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“.