Kriterien der Entgelttransparenzrichtlinie zur Bestimmung der Entgeltgleichheit
Nach Art. 4 Abs. 1 EntgTranspRL (Entgelttransparenzrichtlinie) müssen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sicherstellen, dass „Arbeitgeber über Vergütungsstrukturen verfügen, durch die gleiches Entgelt bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit gewährleistet wird.“. Die Vergütungsstrukturen müssen nach Art. 4 Abs. 4 EntgTranspRL so beschaffen sein, dass anhand objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien beurteilt werden kann, ob sich die Arbeitnehmer im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Sofern Arbeitnehmervertreter – zum Beispiel aus einem Betriebsrat – vorhanden sind, sind diese zu beteiligen. Insbesondere dürfen die Kriterien weder in unmittelbarem noch in mittelbaren Zusammenhang mit dem Geschlecht der Arbeitnehmer stehen.
Die Kriterien umfassen Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen und gegebenenfalls etwaige weitere Faktoren, die für den konkreten Arbeitsplatz oder die konkrete Position relevant sind. Als „etwaig weitere Faktoren“ werden berufliche Anforderungen, Bildungs-, Aus- und Weiterbildungsanforderungen genannt. Eine abschließende Aufzählung ist dies aber nicht.
Für Kleinstunternehmen, sowie kleinere und mittlere Unternehmen (KMU) wird zur Erleichterung der Bestimmung der Entgeltstrukturen seitens des europäischen Gesetzgebers empfohlen, sich auf die eingangs genannten vier “Kernfaktoren“ zu beschränken.
Unter die Gruppe der KMU fallen alle Unternehmen, die weniger als 250 Personen beschäftigen und die entweder einen Jahresumsatz von höchstens 50 Mio. EUR erzielen oder deren Jahresbilanzsumme sich auf höchstens 43 Mio. EUR beläuft.
Die vier Kriterien Kompetenzen, Belastungen, Verantwortung und Arbeitsbedingungen sind nicht starr. Vielmehr soll jeder der vier Faktoren vom Arbeitgeber nach Maßgabe der Relevanz dieser Kriterien für den jeweiligen Arbeitsplatz oder die betreffende Position gewichtet werden, da nicht alle Faktoren für eine bestimmte Positionen gleichermaßen relevant sind. Außerdem soll der Arbeitgeber, sofern relevant und gerechtfertigt, zusätzliche Kriterien berücksichtigen können.
Eine verbindliche Leitlinie, wie genau diese Kriterien zu bestimmen sind, fehlt bislang. Dass die Kriterien als unbestimmte Rechtsbegriffe auslegungsbedürftig sind, hilft den Arbeitgebern ebenfalls nicht weiter. Im Streitfall wird es den Gerichten obliegen, die Kriterien näher zu definieren.
Bildung von Vergleichsgruppen gemäß der Entgelttransparenzrichtlinie
Die Bewertung der Frage, ob Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichten, bemisst sich in erster Linie nach Art. 19 EntgTranspRL.
Art. 19 Abs. 1 EntgTranspRL stellt klar, dass sich für die Bewertung, ob sich Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden, der Vergleich nicht mehr auf Situationen beschränkt, in denen Männer und Frauen für denselben Arbeitgeber arbeiten. Arbeitnehmer können sich in einer vergleichbaren Situation auch dann befinden, wenn sie nicht für denselben Arbeitgeber arbeiten, wenn die Entgeltbedingungen aber auf eine einheitliche Quelle zurückzuführen sind, die diese Bedingungen festlegt. Die „einheitliche Quelle“ kann sich z. B. dadurch ergeben, dass eine Konzernmuttergesellschaft für ihre Tochterunternehmen einheitliche Vorgaben zur Vergütung aufstellt. Ebenfalls stellt ein Tarifvertrag eine zulässige „einheitliche Quelle“ dar.
In zeitlicher Hinsicht sieht Art. 19 Abs. 2 EntgTranspRL vor, dass sich die Bewertung, ob sich Arbeitnehmer in einer vergleichbaren Situation befinden, nicht auf Arbeitnehmer beschränkt ist, die zur gleichen Zeit wie der betreffende Arbeitnehmer beschäftigt sind. Der Arbeitgeber kann also in Rechtfertigungszwang geraten, wenn ein mittlerweile pensionierter Arbeitnehmer besser vergütet wurde, als der aktuelle Arbeitnehmer in der gleichen Position.
Für Arbeitgeber ergibt sich die berechtigte Frage, was genau „gleichwertige Arbeit“ ist. Gleichwertige Arbeit liegt nach der Richtlinie bei Arbeitnehmern vor, die sich im Hinblick auf den Wert der Arbeit in einer vergleichbaren Situation befinden. Etwas genauer wird dies bereits in § 4 Abs. 2 EntgTranspG (Entgelttransparenzgesetz) definiert. Kriterien zur Bestimmung der vergleichbaren Situationen können demnach unter anderem die Art der Arbeit, die Ausbildungsanforderungen und die Arbeitsbedingungen sein.
Verpflichtungen für Arbeitgeber durch die Entgelttransparenzrichtlinie
Wie im ersten Teil unserer Serie gezeigt, bietet die EntgTranspRL viele Vorteile für Arbeitnehmer. Für Arbeitgeber bringt die EntgTranspRL dagegen wenig Gutes. Neben den zahlreichen ungeklärten Begriffen der Richtlinie unterliegen sie künftig gleich mehreren weitreichenden Verpflichtungen.
Wenig überraschend ist es daher, dass sich laut einem Report zur Global Pay Transparency aus dem Jahr 2024 nur 28 Prozent der in Deutschland befragten Unternehmen auf die Erfüllung der Transparenzanforderungen vorbereitet fühlen.
Pflicht zur Transparenz bei der Festlegung des Entgelts (Art. 6 EntgTranspRL)
Neu ist, dass nach Art. 6 Abs. 1 EntgTranspRL Arbeitgeber ihren Mitarbeitern Informationen darüber, welche Kriterien für die Festlegung ihres Entgelts, ihrer Entgelthöhen und ihrer Entgeltentwicklung verwendet werden, in leicht zugänglicher Weise zur Verfügung stellen müssen. Die Zurverfügungstellung der Informationen an sich dürfte keine großen Schwierigkeiten bereiten. Problematisch ist allerdings der Inhalt der Informationen, da die Kriterien ihrerseits objektiv und geschlechtsneutral sein müssen und noch nicht absehbar ist, wie genau sie zu bemessen sind. Arbeitgeber mit weniger als 50 Beschäftigten können jedoch gemäß Art. 6 Abs. 2 EntgTranspRL von dieser Verpflichtung ausgenommen werden.
Berichterstattungspflicht und gemeinsame Entgeltbewertung (Art. 9 , 10 EntgTranspRL)
Ein erheblicher bürokratischer Aufwand ist durch die Berichterstattungspflicht des Art. 9 EntgTranspRL zu befürchten. Bislang gilt die Berichterstattungspflicht nach § 21 Abs. 1 EntgTranspG nur für Arbeitgeber mit mehr als 500 Beschäftigten. Zudem sind die Pflichten inhaltlich deutlich geringer. Damit soll nach der Umsetzung der Entgelttransparenzrichtlinie Schluss sein.
Die Pflichten sollen künftig alle Arbeitgeber mit 100 oder mehr Arbeitnehmern – in zeitlicher Staffelung je nach Größe – treffen. Inhaltlich soll die Pflicht unter anderem für sämtliche geschlechtsspezifische Entgeltgefälle greifen, unabhängig davon, ob es sich um Fixgehalt oder um variable Vergütung handelt. Diese Informationen müssen an die sogenannte „Überwachungsstelle“ mitgeteilt werden, die die Daten sodann veröffentlichen können und sollen.
Im unmittelbaren Zusammenhang mit der Berichtspflicht nach Art. 9 EntgTranspRL steht die gemeinsame Entgeltbewertung nach Art. 10 EntgTranspRL. Unter gewissen Voraussetzungen müssen Arbeitgeber mit den Arbeitnehmervertretern eine umfassende Entgeltbewertung nach Art. 10 Abs. 2 EntgTranspRL vornehmen. Dies soll dazu dienen, Entgeltunterschiede zwischen Arbeitnehmern, die nicht durch objektive und geschlechtsneutrale Kriterien gerechtfertigt sind, festzustellen, zu korrigieren und zu verhindern. Im Wesentlichen greift die Pflicht, wenn die Berichterstattung ein Gefälle der durchschnittlichen Entgelthöhe von mehr als 5 % ergibt, der Arbeitgeber diesen Unterschied nicht aufgrund objektiver, geschlechtsneutraler Kriterien rechtfertigen kann und einen solchen Unterschied auch nicht innerhalb von sechs Monaten nach dem Tag der Berichterstattung korrigiert.
Wenig Trost bietet in diesem Zusammenhang Art. 11 EntgTranspRL, wonach die Mitgliedsstaaten Arbeitgebern mit weniger als 250 Arbeitnehmern und den betreffenden Arbeitnehmervertretern (etwa Betriebsräten) Unterstützung in Form technischer Hilfe und Schulungen bieten sollen, um die Einhaltung der ganzen Verpflichtungen zu erleichtern.
Abhilfemaßnahmen und Sanktionen (Art. 17 und Art. 23 EntgTranspRL)
Verstoßen Arbeitgeber gegen ihre Rechte und Pflichten aus der EntgTranspRL – insbesondere gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts – haben die Betroffenen unter Umständen einen Anspruch auf Schadensersatz und Entschädigung nach Art. 16 EntgTranspRL, der bereits im Teil 1 unserer Serie erläutert wurde.
Daneben sollen die Mitgliedsstaaten weitere Abhilfemaßnahmen sowie Sanktionen sicherstellen und zugleich deren effektive Durchsetzung gewährleisten.
Nach Art. 17 Abs. 1 EntgTranspRL können auf Antrag des Arbeitnehmers die zuständigen Behörden Arbeitgeber zu weiteren Abhilfemaßnahmen verpflichten, um Verletzungen von Rechten und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts zu verhindern. Als Beispiele nennt die Richtlinie etwa die Verpflichtung, das Verfahren zur Entgeltfestlegung auf der Grundlage einer geschlechtsneutralen Bewertung und Einstufung zu überprüfen oder die Verpflichtung, Arbeitnehmer über ihr Recht auf gleiches Entgelt zu informieren. Weiterhin kommen obligatorische Schulungen des HR-Personals in Fragen der Entgeltgleichheit in Betracht.
Kommen Arbeitgeber diesen Maßnahmen nicht nach, sieht Art. 17 Abs. 2 EntgTranspRL die Möglichkeit vor, Zwangsgelder zu verhängen. Über die Höhe des Zwangsgeldes trifft die Richtlinie keine Regelung. Bei einem Rückgriff auf die allgemeinen Regeln dürfte – zumindest in Bayern – ein Zwangsgeld von bis zu 50.000 Euro einschlägig sein.
Zusätzlich zu den Abhilfemaßnahmen können nach Art. 23 Abs. 1 EntgTranspRL bei der Verletzung der Rechte und Pflichten der Richtlinie wirksame, verhältnismäßige und abschreckende Sanktionen verhängt werden. Diese Sanktionen sollen insbesondere Geldbußen umfassen, die ihrer Höhe nach auf dem Bruttojahresumsatz oder der Gesamtentgeltsumme des Arbeitsgebers beruhen können. Für wiederholte Verletzungen des Arbeitgebers können nach Art 23 Abs 4 EntgTranspRL spezifische Sanktionen Anwendung finden, wie etwa der Entzug öffentlicher Zuwendungen oder der Ausschluss von sonstigen finanziellen Anreizen oder öffentlichen Ausschreibungen für einen bestimmten Zeitraum.
Zu beachten ist, dass Geldbußen und Zwangsgelder grundsätzlich kombiniert werden können. Arbeitgeber können also zur gleichen Zeit zur Zahlung eines Zwangsgelds und einer Geldbuße verpflichtet werden. Dies stellt eine entscheidende Neuerung dar, denn bisher enthält das EntgTranspG keine Sanktionen oder Bußgeldtatbestände.
Neuerungen durch die Entgelttransparenzrichtlinie auch im Hinblick auf Tarifverträge
Insbesondere für tarifgebundene und tarifanwendende Arbeitgeber ist Vorsicht geboten. Nach noch aktueller Rechtslage sieht § 4 Abs. 5 EntgTranspG für tarifvertragliche Entgeltregelungen nämlich die Vermutung vor, dass die Regelungen nicht wegen des Geschlechts beim Entgelt diskriminieren. Tätigkeiten, die aufgrund der tarifvertraglichen Regelungen unterschiedlichen Entgeltgruppen zugewiesen werden, werden grundsätzlich als nicht gleichwertig angesehen. Dieses Privileg der sogenannten „Angemessenheitsvermutung“ wird durch die EntgTranspRL ersatzlos gestrichen. Arbeitgeber können sich zukünftig nicht mehr durch eine Bezugnahme auf die Regelungen des Tarifvertrags retten, sollten diese ihrerseits unzulässige Kriterien enthalten.
Auch § 15 Abs. 5 EntgTranspG, der bislang nur für Arbeitnehmer von nicht tarifgebundenen und nicht tarifanwendenden Arbeitgebern eine Beweiserleichterung vorsieht, wird zukünftig entfallen. Stattdessen greift Art. 18 EntgTranspRL, der die Beweiserleichterung ohne Unterscheidung nach Tarifbindung und Tarifanwendung vorsieht. Zu den Einzelheiten der Beweiserleichterung dürfen wir auf Teil 1 unserer Serie verweisen.
Kompetente Beratung durch Fachanwälte für Arbeitsrecht
Das derzeit bestehende Maß an Rechtsunsicherheit in Bezug auf die Anforderungen zur Entgeltgleichheit ist für Arbeitgeber durchaus problematisch. Die Frage der Gestaltung des Entgeltsystems bringt erhebliche (prozessuale) Risiken mit sich. Umso wichtiger ist es, sich bereits heute mit den anstehenden Änderungen auseinanderzusetzen. Unser Team aus Fachanwälten für Arbeitsrecht kann Ihnen dabei helfen, diese Risiken zu bewältigen. Nehmen Sie gerne mit uns Kontakt auf.