Hintergrund der Entgelttransparenzrichtlinie

Dass die Mitgliedsstaaten der Europäischen Union zur Anwendung des „Equal-Pay-Grundsatzes“ verpflichtet sind, ist keine Neuerung. In den Augen des europäischen Gesetzgebers ist die bisherige praktische Umsetzung des Entgeltgleichheitsgrundsatzes jedoch unbefriedigend. Die Hauptursachen liegen in der mangelnden Transparenz der Entgeltsysteme, der mangelnden Rechtssicherheit in Bezug auf den Begriff der gleichwertigen Arbeit sowie in den Verfahrenshindernissen für von Diskriminierung Betroffene. 

Auch in Deutschland zeichnet sich ein ähnliches Bild ab. Zwar gab es zum einen die Einführung des deutschen Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) und zum anderen Entwicklungen in der Rechtsprechung; so hat zum Beispiel das Bundesarbeitsgericht 2023 entschieden, dass Verhandlungsgeschick kein Grund für höheren Lohn bei Männern ist. Trotz dieser positiven Entwicklungen, lag der (unbereinigte) Gender Pay Gap in Deutschland im Jahr 2024 zuletzt bei 16 %. 

Die „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Stärkung der Anwendung des Grundsatzes des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit durch Entgelttransparenz und Durchsetzungsmechanismen“ (RL (EU) 2023/970 v. 10.5.2023, L 132/21; sog Entgelttransparenzrichtlinie – „EntgTranspRL“) soll dieser Lücke entgegenwirken.

Neue Auswirkungen im Hinblick auf die Rechte der Arbeitnehmer 

Für Arbeitnehmer bringt die Entgelttransparenzrichtlinie zahlreiche Rechte mit sich, die teils über die Rechte des EntgTranspG hinausgehen und teils komplett neu sind.

Ausgewählte Aspekte sollen hierbei die Entgelttransparenz vor der Beschäftigung, das Auskunftsrecht während des Arbeitsverhältnisses, der Anspruch auf Schadensersatz bzw. Entschädigung für Arbeitnehmer sowie zuletzt die Erleichterungen in der prozessualen Durchsetzung der Rechte sein.

Entgelttransparenz vor der Beschäftigung (Art. 5 EntgTranspRL)

Für Stellenbewerber wird die Rechtsposition durch Art. 5 EntgTranspRL maßgeblich erweitert. Demnach haben alle Stellenbewerber das Recht, Informationen über das auf objektiven, geschlechtsneutralen Kriterien beruhende Einstiegsentgelt für die zu besetzende Stelle oder dessen Spanne zu erhalten. Dies hat vor Abschluss des Arbeitsvertrags – etwa in einer veröffentlichten Stellenausschreibung oder vor dem Vorstellungsgespräch – zu erfolgen. Die Vorschrift gilt für jeden Arbeitgeber, ohne Rücksicht auf die Anzahl seiner Mitarbeiter.

Hierdurch sollen fundierte und transparente Verhandlungen über das Entgelt gewährleistet werden. Wichtig ist, dass Arbeitgeber diese Informationen nicht erst auf Nachfrage des Stellenbewerbers, sondern proaktiv zur Verfügung stellen müssen. 

Ob Arbeitgeber dieser Informationspflicht nachkommen können, indem sie pauschal auf die einschlägigen Bestimmungen eines - öffentlich einsehbaren - anwendbaren Tarifvertrags verweisen, bleibt abzuwarten. 

Gleichzeitig verbietet Art. 5 Abs. 2 EntgTranspRL nunmehr explizit, dass der Arbeitgeber den Bewerber nach dem Entgelt in laufenden oder früheren Beschäftigungsverhältnissen befragt. 

Auskunftsrecht des Arbeitnehmers (Art. 7 EntgTranspRL)

Im laufenden Arbeitsverhältnis ist ein besonderes Augenmerk auf das Auskunftsrecht nach Art. 7 EntgTranspRL zu legen, das – anders als beim aktuellen § 12 Abs. 1 EntgTranspG – jedem Arbeitnehmer unabhängig von der Anzahl der beim Arbeitgeber Beschäftigten zustehen soll.

Hiernach haben Arbeitnehmer auf Verlangen das Recht, vom Arbeitgeber Auskünfte über ihre individuelle Entgelthöhe und über die durchschnittlichen Entgelthöhen in schriftlicher Form zu erhalten. Dies soll aufgeschlüsselt nach Geschlecht und für die Gruppen von Arbeitnehmern, die gleiche bzw. gleichwertige Arbeit verrichten, erfolgen.

Ein wichtiger Unterschied zum bisherigen § 11 Abs. 3 EntgTranspG liegt darin, dass das Auskunftsrecht nicht auf die Mitteilung des statistischen Medians, sondern der durchschnittlichen Entgelthöhe gerichtet ist. Die Berechnung des Durchschnitts erfolgt somit durch die Bestimmung der Summe aller Einzelwerte geteilt durch die Anzahl der Einzelwerte. 

Einen weiteren wichtigen Aspekt in diesem Zusammenhang regelt Art. 7 Abs. 5 EntgTranspRL, wonach Arbeitnehmer nicht daran gehindert werden dürfen, ihr Entgelt offenzulegen, um den Grundsatz des gleichen Entgelts durchzusetzen. Hierzu müssen die Mitgliedsstaaten Maßnahmen ergreifen, um Vertragsbedingungen zu verbieten, durch die Arbeitnehmer von diesem Recht abgehalten werden. Diese Vorgabe wird sich auf die Vertragsgestaltung von Arbeitsverträgen entscheidend auswirken.

Anspruch auf Schadensersatz für Arbeitnehmer (Art. 16 EntgTranspRL)

Natürlich stellt sich nun die Frage, was passiert, wenn Arbeitnehmer durch die Verletzung ihrer Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts einen Schaden erleiden.

Art. 16 Abs. 1 EntgTranspRL sieht hierfür einen Anspruch auf „vollständigen“ Schadensersatz oder „vollständige“ Entschädigung vor. Der Anspruch soll einerseits der Genugtuung des Betroffenen dienen und andererseits der Vorbeugung durch eine abschreckende Wirkung für Arbeitgeber. 

Der Schadensersatz oder die Entschädigung soll den Arbeitnehmer in die Situation versetzen, in der er sich befunden hätte, wenn er nicht aufgrund des Geschlechts diskriminiert worden wäre oder wenn keine Verletzung der Rechte oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts erfolgt wäre. 

Der Anspruch soll unter anderem die vollständige Nachzahlung entgangener Entgelte und damit verbundener Boni oder Sachleistungen sowie den Schadensersatz für entgangene Chancen oder immaterielle Schäden umfassen. Eine vorab festgelegte Obergrenze des Schadensersatzes oder der Entschädigung ist nicht zulässig. 

Zwar ähnelt die Vorschrift dem § 15 AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz), der auch im Rahmen des EntgTranspG Anwendung findet. Hiernach besteht unter Umständen ebenfalls ein Anspruch auf Schadensersatz oder Entschädigung. Jedoch geht Art. 16 EntgTranspRL teils darüber hinaus, sei es durch das Verbot einer vorab festgelegten Obergrenze oder durch den Schadensersatz für entgangene Chancen. Die Richtlinie nennt als Beispiel für entgangene Chancen den „Zugang zu bestimmten Leistungen je nach Entgelthöhe“. 

Prozessuale Durchsetzung der Rechte des Arbeitnehmers 

Rechte zu haben, ohne auch Recht zu bekommen, bringt bekanntermaßen relativ wenig. Die Richtlinie greift den Betroffenen daher unter die Arme, um die prozessuale Durchsetzung ihrer Rechte zu gewährleisten. Hierbei soll es keinen Unterschied machen, ob die Arbeitnehmer ihre Rechte während oder erst nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, während dem die Diskriminierung vorgekommen sein soll, in Anspruch nehmen. 

Weiterhin sieht Art. 18 EntgTranspRL eine Verlagerung der Beweislast vor. Demnach muss der Arbeitnehmer zunächst nur Tatsachen glaubhaft machen, die eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung vermuten lassen. Im Anschluss muss nun die beklagte Partei – also der Arbeitgeber – beweisen, dass gerade keine unmittelbare oder mittelbare Entgeltdiskriminierung vorliegt. 

Im EntgTranspG befindet sich bislang lediglich für den Verstoß nicht tarifgebundener oder nicht tarifanwendender Arbeitgeber gegen ihre Auskunftspflicht aus § 10 EntgTranspG eine entsprechende Beweislastumkehr. Durch die Erweiterung der Beweislastumkehr auf eine Vielzahl von Fällen steigt der Druck für die Arbeitgeber. 

Müssen Arbeitgeber künftig Arbeitnehmerprozesse finanzieren?

Gerichtsverfahren sind oftmals kostspielig. Dies gilt wegen § 12a Abs. 1 ArbGG (Arbeitsgerichtsgesetz) umso mehr im Arbeitsrecht, wo erstinstanzlich jede Partei die Anwaltskosten selbst tragen muss. Allein wegen der Kosten sehen viele Betroffene von der Verfolgung ihrer Rechte ab. Um die verfahrenstechnischen und kostenbedingten Hindernisse zu überwinden, mit denen Arbeitnehmer beim Versuch, ihr Recht auf gleiches Entgelt wahrzunehmen, konfrontiert sind, sieht die Richtlinie nunmehr Erleichterungen vor. Einerseits sollen künftig auch kollektive (Verbands-)Klagen möglich sein. Dies wurde bereits seit Längerem von Gewerkschaften und Stimmen aus der Politik gefordert. Ebenso kommt es andererseits zu erheblichen Erleichterungen für Arbeitnehmer hinsichtlich der Verfahrenskosten.

Verbände, Organisationen Gleichbehandlungsstellen und Arbeitnehmervertreter, die ein berechtigtes Interesse an der Gewährleistung der Gleichstellung von Männern und Frauen haben, können nach Art. 15 EntgTranspRL künftig mit Zustimmung des Betroffenen im Namen oder zur Unterstützung dieser Person vor Gericht auftreten, um mutmaßliche Verletzungen der Rechte oder Pflichten im Zusammenhang mit dem Grundsatz des gleichen Entgelts besser durchsetzen zu können.

Daneben muss auch Art. 22 EntgTranspRL beachtet werden, der im Ergebnis künftig die Kostentragungspflicht des Arbeitnehmers nach § 12a Abs. 1 ArbGG zumindest für Entgeltgleichheitsklagen aushebeln dürfte. Bereits seit längerer Zeit wird die Nichtanwendbarkeit des § 12a Abs. 1 ArbGG auf diskriminierungsrechtliche Streitigkeiten diskutiert, um in diesen Fällen wirksame und abschreckende Sanktionen für die Arbeitgeber zu gewährleisten. 

Nach Art. 22 EntgTranspRL können Gerichte in Fällen, in denen die beklagte Partei – also der Arbeitgeber – das Verfahren aufgrund eines Anspruchs wegen Entgeltdiskriminierung gewinnt, dennoch bestimmen, dass dieser die Kosten der unterliegenden Partei – also des Arbeitnehmers – tragen muss, wenn der Arbeitnehmer berechtigte Gründe hatte, den Anspruch geltend zu machen. Dies soll insbesondere dann gelten, wenn der Arbeitgeber die Entgelttransparenzpflichten nicht vollständig erfüllt hat. 

Dass der Fall des Obsiegens des Arbeitnehmers in der Richtlinie nicht geregelt ist, dürfte daran liegen, dass der europäische Gesetzgeber in diesen Fällen ohnehin von einer Kostentragungspflicht des Arbeitgebers als unterliegender Partei ausgeht. Jedenfalls erscheint es sinngemäß, dem Arbeitnehmer den Anspruch auf Erstattung der gesetzlichen Gebühren und Auslagen erst recht zu gewähren, wenn er das Verfahren gewinnt. 

Es bleibt mit Spannung abzuwarten, ob die Gerichte künftig auch in sonstigen Diskriminierungsfällen -  insb. Ansprüchen nach § 15 AGG -  eine entsprechende Nichtanwendbarkeit des § 12a Abs. 1 ArbGG beschließen. Jedenfalls bietet die Richtlinie mehr Argumente, die dieses Ergebnis stützen. 

Verlässliche Beratung durch Fachanwälte im Arbeitsrecht

Zwar müssen die Mitgliedsstaaten der EU die Richtlinie erst bis spätestens 7. Juni 2026 in das nationale Recht umsetzen. Jedoch ist nicht ausgeschlossen, dass die Umsetzung in Deutschland bereits früher erfolgt. 

Umso wichtiger ist es, sich bereits frühzeitig mit den bevorstehenden Änderungen vertraut zu machen. Unser Team aus erfahrenen Fachanwälten für Arbeitsrecht steht Ihnen hierfür gerne beratend zur Verfügung, sei es als Arbeitgeber für Fragen der Gestaltung des Entgelttransparenz oder als Arbeitnehmer für Fragen hinsichtlich des Umfangs und der Durchsetzung ihrer Ansprüche. Kontaktieren Sie uns jederzeit gerne!