Der Arbeitgeber muss rechtzeitig über Massenentlassungen informieren
Um die Interessen der Arbeitnehmer bei Massenentlassungen zu wahren, stellt der Gesetzgeber den Arbeitgeber vor umfangreiche Aufgaben. In einem solchen Fall muss der Arbeitgeber nämlich vor allem zwei wichtige arbeitsrechtliche Vorgaben gegenüber dem Betriebsrat beachten:
- Er muss den Betriebsrat über geplante Entlassungen vorher in Kenntnis setzen (§ 17 Abs. 2 Satz 1 KSchG).
- Er muss gemeinsam mit dem Betriebsrat die Möglichkeiten für die Vermeidung, Einschränkung oder Abmilderung der Folgen von Entlassungen erörtern (§ 17 Abs. 2 Satz 2 KSchG).
Die zweite Pflicht entspricht der Beratungspflicht bei beabsichtigen Betriebsänderung nach § 111 Satz 1 BetrVfG. Sie sind rechtlich jedoch zu trennen - was sich auch auf die Rechtsfolgen bei Verstößen bezieht:
- Unterlässt es der Arbeitgeber, den Betriebsrat vor betriebsbedingten Kündigungen zu informieren, sind diese unwirksam (Urteil des BAG vom 21. März 2013, 2 AZR 60/12).
- Werden die Verhandlungen über einen Interessenausgleich dagegen nicht durchgeführt, entsteht für die betroffenen Arbeitnehmer ein Anspruch auf einen Nachteilsausgleich nach § 113 BetrVG.
Unklare Rechtslage
Es war bisher noch nicht höchstrichterlich geklärt, ob Abfindungen aus einem Sozialplan mit Ansprüchen aus einem Nachteilsausgleich verrechnet werden können. Diese Frage stellt sich dann, wenn ein Sozialplan erst nach den erfolgten Entlassungen verhandelt wird.
Das Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg hatte dies in einem Urteil vom 29. März 2017 (4 Sa 1969/16) bejaht. Zur Begründung führten die Richter an, dass beide Zahlungen demselben Zweck dienten: dem finanziellen Ausgleich für wirtschaftliche Schäden des Arbeitsplatzverlustes. Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Auffassung jetzt angeschlossen (Urteil vom 12. Februar 2019, AZR 279/1).
Der Fall: Sozialplan nach der Kündigung
Der Entscheidung des BAG lag folgender Fall zugrunde: Der Arbeitgeber hatte den Betriebsrat zwar über eine bevorstehende Betriebsstilllegung informiert, er sprach die Kündigungen jedoch vor dem Beginn der Verhandlungen über einen Interessenausgleich aus. Erst nach Ausspruch der Kündigungen einigten sich Arbeitgeber und Betriebsrat über einen Sozialplan. Der Arbeitgeber zahlte daraufhin den klagenden Arbeitnehmern den Nachteilsausgleich in Höhe von gut 16.000 Euro aus, verrechnete diesen aber mit dem Anspruch auf 9.000 Euro aus dem Sozialplan. Gegen die Anrechnung gingen die Arbeitnehmer vor Gericht. Sie unterlagen jedoch in den Vorinstanzen.
Rechtslage in Deutschland entspricht der EU-Richtlinie
Das Bundesarbeitsgericht folgte in der Argumentation dem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg: Beide Ansprüche würden demselben Zweck dienen, sie seien deshalb verrechenbar. Zusätzlich ergebe sich auch aus Artikel 6 der europäischen Massenentlassungs-Richtlinie nicht, dass das in Deutschland geltende Arbeitsrecht in dieser Hinsicht Lücken enthalte, sodass die Verletzung der Pflicht zur Konsultation weitergehende Ansprüche der Arbeitnehmer zur Folge habe. Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten dazu, für die praktische Durchsetzung der Arbeitgeber-Verpflichtungen Sorge zu tragen. Die EU-Vorgaben seien ausreichend dadurch erfüllt, dass die Verletzung der Konsultationspflicht die Unwirksamkeit von Kündigungen zur Folge habe, so die Erfurter Richter.
Fazit
Mit dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts ist jetzt klargestellt, dass Ansprüche auf Zahlungen aus einem Nachteilsausgleich mit den Ansprüchen aus einem Sozialplan verrechnet werden dürfen. Diese Entscheidung wird bei anstehenden betriebsbedingten Entlassungen auf beiden Seiten für Rechtssicherheit sorgen.