Diskriminierung und Viktimisierung

Dass Diskriminierungen im Arbeitsrecht (zum Beispiel aufgrund des Geschlechts, der ethnischen Zugehörigkeit oder des Alters) verboten sind, ist tief in das Bewusstsein der Gesellschaft eingedrungen. Etwas weniger bekannt ist das Verbot von sogenannten Viktimisierungen. Kurz gesagt bedeutet das Viktimisierungsverbot: Wer andere vor Diskriminierungen am Arbeitsplatz schützt oder solche Behandlungen beim Arbeitgeber kritisiert, darf dadurch keine Nachteile erleiden. Verschiedene europarechtliche Richtlinien zielen darauf ab, die Verwirklichung der Gleichberechtigung von Männern und Frauen am Arbeitsplatz in der Europäischen Union durchzusetzen - und das gilt auch für diejenigen, die sich am Arbeitsplatz für diskriminierte Kollegen oder abgelehnte Bewerber einsetzen.

Die Viktimisierung ist beispielsweise in Art. 9 der Richtlinie 2000/43/EG ausdrücklich angesprochen. Die nationalen Rechtsgeber werden in dieser Vorschrift dazu aufgefordert, Maßnahmen zum Schutz vor Viktimisierungen zu treffen. Eine solche Regelung findet sich zum Beispiel im belgischen Gendergesetz. Hier werden in Art. 22 diejenigen Personen geschützt, die Beschwerden gegen diskriminierende Maßnahmen einreichen oder in einem Verfahren wegen einer solchen Beschwerde als Zeugen auftreten. Der Begriff der Beschwerde ist in diesem Artikel jedoch eng definiert und an formale Voraussetzungen geknüpft.

Belgisches Gendergesetz stellt formale Voraussetzungen

Genau diese Einschränkung ist jetzt auch zu einem rechtlichen Problem geworden. In einem arbeitsrechtlichen Prozess in Belgien ging es darum, dass die in einem Einzelhandelsunternehmen angestellte Leiterin eines Bekleidungsgeschäfts eine Bewerberin unterstützt hatte, die trotz ihrer Empfehlung vom Unternehmen nicht eingestellt wurde. Hintergrund der Nichteinstellung war eine Schwangerschaft der Bewerberin. Die Geschäftsleiterin hatte weder offiziell Beschwerde gegen die Nichteinstellung eingelegt, noch hatte sie in einem Verfahren als Zeugin ausgesagt. Sie hatte sich aber wiederholt für die Bewerberin eingesetzt und wurde daraufhin vom Unternehmen unterlassen.

Zusammen mit der abgelehnten Bewerberin klagte sie gegen das Unternehmen auf Schadensersatz. Die abgelehnte Bewerberin kam mit ihrem geltend gemachten Anspruch durch. Im Übrigen legte das Arbeitsgericht Antwerpen den Fall dem EuGH zur Klärung der Frage vor, ob das Europarecht (in Form von verbindlichen Richtlinien für die nationale Gesetzgebung) der enger gefassten Regelung im belgischen Gendergesetz entgegenstehe. Entscheidend war in diesem Zusammenhang Art. 24 der Richtlinie 2006/54/EG:

Die Mitgliedstaaten treffen im Rahmen ihrer nationalen Rechtsordnungen die erforderlichen Maßnahmen, um die Arbeitnehmer […] vor […] Benachteiligungen durch den Arbeitgeber zu schützen, die als Reaktion auf eine Beschwerde innerhalb des betreffenden Unternehmens oder auf die Einleitung eines Verfahrens zur Durchsetzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes erfolgen.

Nach Auffassung des EuGH richtet sich der von der Richtlinie beabsichtigte Schutz vor Viktimisierung nicht in erster Linie nach formalen Kriterien, sondern nach der Rolle, die diese Arbeitnehmer zugunsten der geschützten Person eventuell spielen (Urteil des EuGH vom 20. Juni 2019 , Az. C-404/18, Rn. 29). Insofern sei die Richtlinie vor allem als Ausprägung eines effektiven Rechtsschutzes zu verstehen. Der Viktimisierungsschutz beziehe sich deshalb sowohl auf formelle wie auf informelle Hilfe bei Diskriminierung.

Fazit

Der Schutz vor Viktimisierung ist nach europäischen Recht umfassend. Für Arbeitgeber ist es deshalb besonders wichtig, nicht nur Ungleichbehandlungen in Bewerbungsverfahren und am Arbeitsplatz zu vermeiden. Auch die Schlechterstellung von Arbeitnehmern, die für diskriminierte Personen Partei ergreifen, ist mit dem Risiko verbunden, Schadensersatz leisten zu müssen.