Ein altbekanntes Problem: die Kettenbefristung

Eigentlich ist - wie so oft - die Intention des Gesetzgebers sehr begrüßenswert und gut gemeint gewesen: in der Wissenschaft soll ein reger Austausch stattfinden, neuen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern soll der Zugang zur Forschung erleichtert werden, die starren Beschränkungen des Kündigungsschutzgesetzes sollen nicht einer dynamischen und sich stets im Wandel befindenden Lebenswirklichkeit in der Wissenschaft entgegenstehen.

Daher räumt das Gesetz wissenschaftlichen Einrichtungen, allen voran Universitäten, sehr große Freiheiten ein, was befristete Verträge angeht. Was in der sonstigen Arbeitswelt als große Ausnahme gilt, ist für viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Regel – der befristete Arbeitsvertrag.

In der Realität sieht es leider oft so aus: Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die in Wahrheit mehr in der Verwaltung als in der Forschung tätig sind oder mit Daueraufgaben beschäftigt sind, werden immer und immer wieder -teilweise über Jahrzehnte hinweg - in der permanenten Unsicherheit andauernder befristeter Verträge gehalten. 

Mit den Jahren der Beschäftigung verschwimmt dann die Grenze zwischen der Forschung und Daueraufgaben immer mehr. 

Nicht selten ist wissenschaftliches Personal zum Beispiel auch - über Jahre hinweg, aber immer wieder befristet - in Projekten beschäftigt, die von großen Geldgebern aus der Industrie finanziert werden und dessen Ergebnisse im Wesentlichen auch nur der Industrie zugutekommt. Hier erstellt sich dann schon die Frage, ob die Privilegierung der Wissenschaft noch gerechtfertigt ist und wo noch der materielle Unterschied zwischen der wissenschaftlichen Einrichtung und einem sonstigen Zulieferer für die Wirtschaft ist. 

Endlich eine Lösung? 

Seit Jahren schon sind diese Missstände bekannt -erinnern wir uns an #IchBinHanna, als schon Mitte2021, damals noch auf „twitter“ intensiv über das WissZeitVG diskutiert wurde. Und seit Jahren gibt es Bestrebungen, das Gesetz anzupassen. Nun scheint endlich Bewegung in die Sache gekommen zu sein:

Im März 2024 hat das Bundeskabinett wesentliche Änderungen beschlossen, die vor allem auf eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern abzielen, insbesondere während ihrer Qualifizierungsphasen (zu finden auf https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/faq/wisszeitvg-reform.html) :

Folgende konkreten Änderungen zeichnen sich hierbei ab:

  1. Endlich! Das Ende der Kurzzeitbefristungen:

Die Gesetzesänderung plant endlich die langersehnte Einführung von Mindestvertragslaufzeiten:

  • 3 Jahre für den ersten Vertrag vor der Promotion (PraeDoc)
  • 2 Jahre nach der Promotion (PostDoc)
  • 1 Jahr für studienbegleitende Beschäftigung

Dies ist es auf jeden Fall ein sehr begrüßenswerter Schritt, die besonders belastenden sehr kurzen Befristungen, teils um wenige Monate, dürften damit endlich der Vergangenheit angehören. Allerdings soll eine Unterschreitung in begründeten Ausnahmefällen möglich sein. Selbstverständlich muss ein Gesetz, das Einzelfallgerechtigkeit schaffen will, auch immer Ausnahmefälle im Blick halten, hier wird es wohl entscheidend sein, dass die Ausnahme nicht zur Regel wird. Das muss die Praxis zeigen, die Anwaltschaft überprüfen und die Rechtsprechung durchsetzen.

  1. Reduzierung der Höchstbefristungsdauer nach der Promotion:

Es soll ein neues 4+2 Modell eingeführt werden:

„4“ :

Statt bisher sechs Jahren nach der Promotion sollen nur noch vier Jahre nach der Promotion möglich sein. (wie bisher sollen mögliche Verlängerungen für die Betreuung minderjähriger Kinder, oder wegen Behinderung, chronischer Erkrankungen möglich sein, ergänzt wird die mögliche Verlängerung nun für die Betreuung pflegebedürftige Angehöriger)

„+2“ : Die Anschlusszusage, wirklich die große Revolution?

Eine weitere Verlängerung um zwei Jahre soll danach nur noch mit einer Anschlusszusage möglich sein. Das bedeutet, unter der Voraussetzung der Erreichung des vorher vereinbarten wissenschaftlichen oder künstlerischen Ziels wird verbindlich ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis abgeschlossen werden müssen. 
Hier darf man gespannt sein, wie das in der Praxis umgesetzt wird. Wenn die Anschlusszusage tatsächlich in der Praxis durchzusetzen sein wird, wäre das natürlich eine Revolution für das Arbeiten im wissenschaftlichen Bereich. Dies soll hoffentlich das furchtbare Elend der ewigen Kettenbefristungen eindämmen. Dies erscheint auch völlig sachgerecht und wäre längst überfällig: wenn nach vollendeter Promotion ein weiter Beschäftigungsbedarf über mehr Jahre hinweg besteht, dann wird man wohl davon ausgehen dürfen, dass für den Mitarbeiter auch zukünftig Arbeit besteht. 


Umgehung der Anschlusszusage durch die Drittmittelfinanzierung? 

An dem grundsätzlichen Aufbau des Wissenschaftszeitvertrag-Gesetzes soll sich jedoch nichts ändern: es bleibt bei der Zweigliedrigkeit von der Qualifizierungsbefristung nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG (auch als „sachgrundlose Befristung“ deklariert) und der Drittmittelbefristung nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG, von Rechtsprechung und Wissenschaft gerne als Gegenstück nämlich als „Sachgrundbefristung“ eingestuft.

Die meisten Probleme ergeben sich in der Praxis aus dem Zusammenspiel dieser beiden Instrumente: leider ist es ein sehr beliebtes Instrument von wissenschaftlichen Einrichtungen, zuerst die Qualifizierungsbefristung voll auszunutzen, also sechs Jahre bis zur Promotion, dann sechs Jahre nach der Promotion, gerne auch mit einschlägigen Verlängerungen und dann nach zwölf (plus) Jahren befristeter Tätigkeit noch mal mit Drittmittelbefristungen zu beginnen. Gerade das Verhältnis zwischen Qualifizierungsbefristung und anschließender Drittmittelbefristung, vor allem im Hinblick auf die Rechtsprechung zur rechtswidrigen Kettenbefristung, war und ist ein dauerndes Streitthema im WissZeitVG.

Es bleibt zu befürchten, dass durch dieses Hintertürchen die Anschlusszusage umgangen wird: wenn wissenschaftliche Einrichtungen lediglich vier Jahre für die PostDoc Phase ansetzen, auf die „+2“ verzichten für die die Anschlusszusage notwendig wäre und dann gleich auf die Drittmittelbefristung überwechseln, hätten Sie die Anschlusszusage umgangen.

Das Bundesministerium auf seiner Homepage dazu sogar wörtlich: 

„Das nach Ausschöpfen der vierjährigen Höchstbefristungsdauer (plus ggf. individueller Verlängerungszeiten) in der Qualifizierungsbefristung nach der Promotion ist zudem auch eine Drittmittelbefristung nach § 2 Absatz 2 WissZeitVG zulässig.“

https://www.bmbf.de/bmbf/shareddocs/faq/wisszeitvg-reform.html

Dann würde es, so ist zu befürchten, bei dem alten Problem bleiben, dass man zunächst offiziell im Rahmen einer Qualifizierung befristet beschäftigt ist und an diese sich daran dann eine im Prinzip unbegrenzte Anzahl vom Drittenmittelbefristungen reihen kann. Und für die dritte Mittelbefristung bestehen nach wie vor offensichtlich keine Mindestlaufzeit der einzelnen Verträge und auch keine Höchstgrenze. Dann wird das ganze Konstrukt wieder nur eingedämmt durch die Rechtsprechung zur rechtswidrigen Kettenbefristung. Hier bleibt zu hoffen, dass der Gesetzgeber das Problem doch noch erkennt und eine Abhilfe vorsieht.

Man darf gespannt bleiben.

Das Bundesministerium für Bildung und Forschung gibt sich zudem noch etwas verschlossen und erklärt zu diesem Themenkomplex: Es soll ein zeitlicher Vorrang der Qualifizierungsbefristung vor der Drittmittelbefristung eingeführt werden. Erst nach Ausschöpfung -so weiter - der Qualifizierungsbefristung soll die Drittmittelbefristung möglich sein. Was genau sich der Gesetzgeber hiervon verspricht, ist auf den ersten Blick offen gesagt noch nicht klar ersichtlich. Zwar erklärt das BMBF weiter, es sollen Nachteile für Mitarbeiter, die bereits in der Qualifizierung aus Drittmittelprojekten finanziert werden, ausgeglichen werden und eine zentrale Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie erreicht werden. 

Das Hauptproblem, dass nach erfolgter Qualifizierungsbefristung eine theoretisch unbegrenzt lange Zeit von Drittmittelbefristungen angeknüpft werden kann, bliebe jedoch bestehen. Und gerade hier zeigen sich ja in der Praxis eben die Probleme: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind zunächst in der Qualifizierungsbefristung beschäftigt und werden dann weiter befristet in der Drittmittelbefristung, nicht selten, ohne dass sich in der Praxis wesentlich etwas an ihrer Tätigkeit ändert. Somit können Sie mit Daueraufgaben jahrzehntelang befristet beschäftigt bleiben. Das „Standard Problem Model“ volle Ausschöpfung der Qualifizierungsbefristung und dann weitere Befristung im Drittmittelbereich scheint damit noch nicht vom Tisch. 

Man darf gespannt sein, wie der konkrete Gesetzestext lauten wird und was die Praxis und die Rechtsprechung daraus machen werden.

Keine Rückwirkung: 

Eines ist wohl jetzt schon klar: Rückwirkend wird das Gesetz wohl nichts ändern können: d.h. die zahlreichen im Moment laufenden Befristungen sind nach wie vor auf Rechtswidrigkeit vor allem im Hinblick auf Kettenbefristungen zu überprüfen. 

Können wir etwas für Sie tun?

Unsere Kanzlei beschäftigt sich schon seit Jahren intensiv mit dem WissZeitVG und übernimmt bundesweit Mandanten. 

Wenn Sie in einem befristeten Arbeitsverhältnis sind, dessen Rechtmäßigkeit Sie überprüfen wollen, zögern Sie nicht uns zu kontaktieren.