Impfpflicht unabhängig vom Arbeitsplatz nur in gesetzlich geregelten Ausnahmefällen
Die Idee einer Impfpflicht ist nicht neu: Deutsche Gerichte beschäftigen sich hierzulande schon seit Längerem mit der rechtlichen Zulässigkeit. Bereits im Jahr 1949 stellte das Bundesverwaltungsgericht im Zusammenhang mit der Pockenimpfung fest, dass eine Pflicht zur Impfung zwar grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar sei (BVerwG, 14.07.1959 - I C 170.56). Aufgrund der hohen Eingriffsintensität in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit solle sie aber nur den absoluten Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.
Den gesetzlichen Rahmen einer Impfpflicht bildet heute § 20 Abs. 6 Infektionsschutzgesetz (IfSG). Die Vorschrift ermächtigt das Bundesministerium für Gesundheit durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates anzuordnen, dass bedrohte Teile der Bevölkerung an Schutzimpfungen teilzunehmen haben, wenn eine übertragbare Krankheit mit klinisch schweren Verlaufsformen auftritt und mit ihrer epidemischen Verbreitung zu rechnen ist. Auf der Grundlage dieser Vorschrift trat am 1. März 2020 das Masernschutzgesetz in Kraft: Seitdem müssen Eltern, die ihr Kind in einer Kindertagesstätte, einer Schule oder einer Tagespflege anmelden, nachweisen, dass ihr Kind gegen Masern geimpft oder anderweitig immun ist. Auch das Personal in diesen Einrichtungen sowie in Flüchtlingsunterkünften, Arztpraxen und Krankenhäusern muss einen solchen Impfnachweis erbringen. In der Gesetzesbegründung heißt es, dass zur vollständigen Eliminierung der Krankheit eine bisher nicht erreichte Impfquote von 95 Prozent nötig sei und diese durch die Pflicht erreicht werden soll.
Für das Coronavirus existiert eine solche gesetzliche Impfpflicht bisher nicht. Auch wenn die Einführung grundsätzlich rechtlich möglich ist, sprach sich die Bundesregierung bisher gegen die Einführung einer Impfpflicht aus.
Derzeit keine gesetzliche Corona-Impflicht am Arbeitsplatz
Auch die Besonderheiten des Arbeitsrechts begründen keine (mittelbare) Impfpflicht für Beschäftigte: Weder aufgrund des Direktionsrechts noch aufgrund sonstiger arbeitsvertraglicher Vereinbarung kann der Arbeitgeber seine Arbeitnehmer verpflichtend auffordern, sich einer Impfung zu unterziehen.
Eine solche Aufforderung kann auch nicht (mittelbar) auf § 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) gestützt werden. Die Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber zum Schutz seiner Arbeitnehmer vor Gefahren für Leben und Gesundheit. Eine solche Gefahr kann unter Umständen bestehen, wenn im Betrieb Corona-Infizierte tätig werden. Die Vorschrift ist allerdings nicht als Generalklausel zu verstehen, sondern wird durch spezielle Vorschriften des Arbeitsschutzes konkretisiert. Eine spezielle Arbeitsschutzvorschrift, die eine Pflicht zur Impfung vorsieht, gibt es derzeit nicht.
Auch muss der Arbeitnehmer grundsätzlich keine Konsequenzen befürchten, wenn er sich gegen die Impfung entscheidet. Gem. § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt, da das gegen das Maßregelungsverbot verstoßen würde. Solange keine gesetzliche Pflicht zur Impfung besteht, kann der Arbeitnehmer sie zulässigerweise verweigern und muss grundsätzlich keine Konsequenzen befürchten.
In Ausnahmefällen kann aber eine personenbedingte Arbeitgeberkündigung zulässig sein, wenn es für den Arbeitnehmer, der sich gegen die Impfung entschieden hat, keine andere Einsatzmöglichkeit mehr im Betrieb gibt. Dies betrifft vor allem Berufsfelder, bei denen der Arbeitnehmer in Ausübung seiner Tätigkeit mit Risikogruppen in Kontakt kommt (z. B. im Altenheim oder einer Arztpraxis). Letztlich ist dies aber noch nicht höchstrichterlich entschieden.
Auf der anderen Seite gebietet die arbeitsvertragliche Nebenpflicht in diesen Berufen aber auch, dass der Arbeitgeber eine Bescheinigung ausstellt, dass der Arbeitnehmer zu einem Beruf gehört, der prioritär ein Recht auf die Impfung hat. Impfwillige Arbeitnehmer können sich so als Risikogruppe oder systemrelevanter Beschäftigter früher impfen lassen als die Allgemeinheit, sofern eine solche Impfreihenfolge gesetzlich festgelegt wird.
Mittelbare Impfpflicht denkbar
In der Praxis jedoch kann der Druck, sich impfen zu lassen, durchaus einer Impfpflicht nahekommen: Wenn etwa ein Mitarbeiter eines Altenheims nicht mehr mit Risikopatienten arbeiten darf oder der Arbeitnehmer im Bewerbungsgespräch nach einer Covid19-Impfung gefragt wird.
Die weitere Entwicklung bezüglich einer Impfpflicht am Arbeitsplatz bleibt abzuwarten. Insbesondere der bayerische Ministerpräsident Markus Söder brachte zuletzt eine Impfpflicht für Pflegepersonal ins Gespräch. Wir behalten die Entwicklung im Blick und halten Sie auf dem aktuellen Stand. Besonders im Arbeitsrecht gilt wegen der coronabedingten Ausnahmesituation aber, dass die Beurteilung der Rechtslage von den individuellen Umständen des Einzelfalls abhängt. Zögern Sie daher nicht, an uns heranzutreten, wenn eine Impfpflicht an Ihrer Arbeitsstätte zur Debatte steht. Als Fachanwaltskanzlei für Arbeitsrecht stehen wir Ihnen gerne mit unserer Expertise zur Verfügung und beraten Sie bei arbeitsrechtlichen Streitigkeiten rund um das Thema Impfpflicht am Arbeitsplatz, auch wenn Sie als Arbeitgeber Fragen haben.