Der Fall Gergiev als Muster-Beispiel einer politisch-motivierten Kündigung.
Der Fall des Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker, Valery Gergiev, schlägt derzeit hohe Wellen. Da sich Gergiev nach Aufforderung von Münchner Oberbürgermeister, Dieter Reiter, nicht klar von Putins Politik und Vorgehen in der Ukraine distanzierte, wurde der Dirigent kurzerhand fristlos gekündigt. Politisch und medial fand die Entscheidung der Stadt München überwiegend Zuspruch, doch rechtlich ist es nicht so klar. Im Gegenteil: Die politische Gesinnung stellt grundsätzlich eben keinen Kündigungsgrund dar.
Kündigung wegen prorussischer Gesinnung – so einfach ist es nicht
Im Arbeitsverhältnis bestehen für Arbeitnehmer verschiedene Pflichten. Neben der Pflicht zur Arbeitsleistung bestehenden insbesondere Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und berechtigten Interessen des Arbeitgebers. Demnach ist der Arbeitnehmer auch außerhalb der Arbeitszeiten dazu verpflichtet, bestimmte Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Störung des Betriebsfriedens oder negative Auswirkungen auf den Arbeitsablauf zur Folge haben. Doch eine bestimmte politische Gesinnungshaltung ist damit grundsätzlich nicht verbunden.
Ukraine-Krieg im Arbeitsrecht: Politische Gesinnung als Kündigungsgrund?
Möchte sich ein Arbeitgeber fristlos von einem Angestellten trennen, bedarf es dazu eines wichtigen Grundes. Im Regelfall ist dies bei besonders schweren Pflichtverstößen der Fall, beispielsweise wenn der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz Straftaten begeht. Immer wieder versuchen Arbeitgeber aber auch die politische Betätigung des Mitarbeiters außerhalb des Betriebs als Kündigungsgrund zu nutzen.
Dabei ist zu beachten, dass die politische Gesinnung des Arbeitnehmers grundsätzlich keinen Kündigungsgrund darstellt. Die politische Einstellung ist rein privater Natur und berührt das Arbeitsverhältnis daher im Grunde nicht. Nur ausnahmsweise kann die politische Betätigung in so engem Zusammenhang mit dem Arbeitsplatz stehen, dass ein wichtiger Grund gegeben ist. Dies ist insbesondere der Fall, wenn das Zusammenarbeiten nachhaltig und konkret so schwerwiegend beeinträchtigt worden ist, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. Meistens ist jedoch eine Abmahnung als milderes Mittel zunächst vorzuziehen.
Der Fall Gergiev in München: Geprägt von Besonderheiten
Im Fall des Chefdirigenten Gergiev verkompliziert sich die Lage allerdings durch weitere Besonderheiten:
Zum einen ist schon fraglich, ob es sich bei dem vertraglichen Verhältnis zwischen Gergiev und der Stadt München um einen Dienst- oder Arbeitsvertrag handelt. Das ist aber entscheidend, da die obigen Grundsätze an sich nur bei Arbeitsverträgen gelten. Die wesentlichen Unterschiede zwischen den Vertragstypen liegen bei der Weisungsabhängigkeit und der Zeiteinteilung. Bei einem Arbeitsvertrag ist der Angestellte dazu verpflichtet, weisungsgebunden fremdbestimmte Arbeit zu leisten. Bei einem Dienstvertrag können die Arbeitszeiten hingegen frei und selbstständig eingeteilt werden und inhaltliche Weisungen existieren nicht. Ein Dirigent befindet sich regelmäßig genau dazwischen, immerhin kann der Dirigent einerseits die Probenzeiten des Orchesters frei festlegen und ist diesbezüglich weisungsunabhängig, andererseits sind bestimmte Konzerttermine zwingend einzuhalten. Der Vertragstyp kann daher nur mithilfe der genauen Vereinbarungen der Parteien bestimmt werden, die der Öffentlichkeit natürlich nicht zugänglich sind. Aber auch wenn es sich um einen Dienstvertrag handeln sollte, wäre eine fristlose Kündigung nur mit einem wichtigen Grund möglich und das Vorliegen eines solchen wichtigen Grundes ist im vorliegenden Fall höchst fraglich.
Zum zweiten müsste für eine Kündigung unabhängig des Vertragstyps grundsätzlich ein zu missbilligendes Verhalten vorliegen. Doch Valery Gergiev wird gar kein Verhalten vorgeworfen, sondern nur ein Schweigen auf die Aufforderung des Oberbürgermeisters hin. Denkbar wäre hier allenfalls eine sogenannte Druckkündigung. Hiernach kann eine Entlassung ausnahmsweise gerechtfertigt sein, um den Betriebsfrieden zu wahren, schwere Reputationsschäden abzuwenden und Kündigungen anderer Mitarbeiter zu verhindern, die ohne die Entlassung des betroffenen Arbeitnehmers mit einer solchen drohen.
Zwar argumentiert die Stadt München damit, dass ihr finanzielle Nachteile und Reputationsschäden drohen, wenn sie den Dirigenten weiterbeschäftigt. Es ist jedoch gerade nicht sicher, ob daraus wirklich ein Schaden entsteht. Außerdem war seine putinfreundliche Haltung bereits bei seiner Anstellung 2015 bekannt und dennoch hat sich die Stadt für ihn entschieden. In den Folgejahren war auch ein geordneter Orchesterbetrieb möglich, der für die Münchner Philharmonikern zu einer Ära mit internationaler Anerkennung geführt hat. Überdies hat sich Gergiev gerade nicht zum Krieg bekannt, sondern durch sein Schweigen einen neutralen Standpunkt eingenommen.
Fazit: Politische Kündigungen können schnell teuer werden
Wie der Fall Valery Gergiev zeigt, steht eine politisch motivierte Kündigung immer auf wackligen Beinen – auch wenn der Druck aus der Öffentlichkeit groß sein mag. Im Ergebnis wird es immer auf die exakte Ausgestaltung des Arbeits- oder Dienstverhältnisses und das Verhalten des Mitarbeiters ankommen, inwieweit die Entlassung einer gerichtlichen Prüfung standhält. Betroffene prorussische Arbeitnehmer haben daher vor den Gerichten gute Chancen, zumindest eine angemessene Abfindung heraus zu handeln. Denn auch wenn es schwer fällt und die Entscheidung der Landeshauptstadt München aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine nachvollziehbar erscheint: Das Arbeitsrecht ist politisch neutral.