Der Entgeltfortzahlungsanspruch bei Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Der sechswöchige Entgeltfortzahlungsanspruch eines krankheitsbedingt arbeitsunfähigen Arbeitnehmers ergibt sich aus § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG). Der Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers bezüglich der Anspruchsvoraussetzung wird dieser durch die Vorlage einer ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gerecht. Da es sich dabei gem. § 5 EFZG um das gesetzlich vorgesehene Beweismittel handelt, wird einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich ein hoher Beweiswert zugesprochen, der im Normalfall für die Durchsetzung des Anspruchs des Arbeitnehmers auf Entgeltfortzahlung ausreichend ist.
Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann nur ausnahmsweise erschüttert werden. Erforderlich ist, dass der Arbeitgeber dabei Tatsachen vorträgt und im Zweifel beweist, die erhebliche Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit aufgrund von Krankheit des Arbeitnehmers wecken. Ein aktuelles Beispiel dafür ist die passgenaue Krankschreibung nach einer Kündigung, welche bis zum Ende der Kündigungsfrist andauert und welche wir im ersten Teil dieser Beitragsreihe beleuchtet haben.
Fall vor dem LAG Düsseldorf: Gleichzeitige Krankmeldung mehrerer Mitarbeiter
In dem vom Landesarbeitsgericht (LAG) Düsseldorf entschiedenen Fall (Az. 3 Sa 468/22) hatte eine Mitarbeiterin – kurz vor ihrer Kündigung – eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung über mehrere Wochen eingereicht. Zu diesem Zeitpunkt beschäftigte der Arbeitgeber insgesamt neun Arbeitnehmer, von welchen sich weitere vier Personen neben der klagenden Arbeitnehmerin ebenfalls für einen ähnlichen Zeitraum krankmeldeten. Der Arbeitgeber vermutete, dass die betreffenden Mitarbeiter sich abgesprochen hatten, um den Betriebsablauf bewusst zu stören. Er zweifelte die AU daher an und zahlte keine Entgeltfortzahlung.
Urteil des LAG Düsseldorf zum Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Das LAG Düsseldorf gab in diesem Fall der auf Lohnfortzahlung klagenden Arbeitnehmerin recht. Eine Erschütterung des hohen Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt demnach nur infrage, wenn besondere Anzeichen für ein vorsätzliches Zusammenwirken der Mitarbeiter vorliegen, die eine Schädigungsabsicht gegenüber dem Arbeitgeber vermuten lassen. Solche zusätzlichen Anzeichen können zum Beispiel bestimmte Verhaltensweisen oder Äußerungen der Arbeitnehmer sein. Eine bloße zeitliche Überschneidung der Krankmeldungen, auch wenn dies mehr als die Hälfte der Belegschaft betrifft, ist hierfür nicht ausreichend, da diese sich beispielsweise auch mit gegenseitiger Ansteckung erklären ließe. Liegen besondere Anzeichen für ein Zusammenwirken der Mitarbeiter vor, so würde allerdings der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erheblich erschüttert werden.
Anzweifeln der AU erfordert nicht zwingend eine Einschaltung des Medizinischen Dienstes
Das LAG Düsseldorf stellte zudem fest, dass die Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse nur ein weiteres Recht des Arbeitgebers darstellt, nicht hingegen eine Pflicht. Es steht dem Arbeitgeber grundsätzlich frei, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzuzweifeln und die Entgeltfortzahlung erstmal einzustellen. Dabei trägt der Arbeitgeber aber das Risiko, dann doch zur Entgeltfortzahlung inklusive Zinsen verurteilt zu werden, wenn ihm – wie im vorliegenden Fall – die Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arbeitnehmers nicht gelingt.
Beratung zu Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und Lohnfortzahlung
Sowohl außergerichtlich als auch zur Vorbereitung eines Prozesses oder vor Gericht ist es wichtig, sich der verschiedenen Beweislastregeln bewusst zu sein, um entsprechend mit Verdachtsmomenten und der Argumentation umzugehen. Wenn Sie sich in einer solchen Situation befinden, beraten unsere Fachanwälte für Arbeitsrecht Sie gerne. Kontaktieren Sie uns dazu unkompliziert für einen Termin.