Schutzpflichten des Arbeitgebers für ausreichend Sicherheit am Arbeitsplatz

§ 618 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verpflichtet den Arbeitgeber, den Arbeitsplatz so einzurichten und zu unterhalten, dass der Arbeitnehmer vor Gefahren für Leben und Gesundheit soweit geschützt ist, als die Natur der Arbeitsleistung es gestattet. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts stellt § 618 BGB eine Teilausprägung der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht dar. Die privatrechtliche Vorschrift verpflichtet den Arbeitgeber auch zur Einhaltung öffentlich-rechtlicher Arbeitsschutzvorschriften. Die Norm wir daher auch als Transformationsvorschrift bezeichnet. Zum öffentlich-rechtliche Arbeitsschutz gehören alle Rechtsvorschriften, die Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Staat oder dem zuständigen gesetzlichen Unfallversicherungsträger (Berufsgenossenschaft) begründen, damit die Sicherheit und der Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer bei der Arbeit gewährleistet sind.  Inhaltlich lässt sich der öffentliche Arbeitsschutz in einen sozialen (bspw. MuSchG, ArbZG) und einen technischen (bspw. ArbSchG oder IfSG) Arbeitsschutz unterteilen.

Rechte des Arbeitnehmers bei Pflichtverletzung                                

Primär steht dem Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) ein einklagbarer Erfüllungsanspruch zu. Der Anspruch ist auf die Herstellung eines arbeitsschutzkonformen Zustandesgerichtet. Da aber die klageweise Durchsetzung in der Regel zu spät kommt, hat der Erfüllungsanspruch kaum praktische Relevanz.

Von größerer Bedeutung ist das Beschwerderecht des Arbeitnehmers beim Betriebsrat gem. §§ 84, 85 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG). Dieser hat sich gem. § 89 BetrVG für die Durchführung der Vorschriften über den Arbeitsschutz und die Unfallverhütung einzusetzen.

Kommt ein Arbeitgeber der Aufforderung, die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Arbeit zu gewährleisten, nicht nach, so besteht zudem ein Beschwerderecht der Beschäftigten bei der zuständigen Behörde nach § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG.

Daneben besteht zugunsten des Arbeitnehmers ein Zurückbehaltungsrecht gem. § 273 Abs. 1 BGB bezüglich seiner Arbeitsleistung. Dieses Recht wird durch den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt: Die Arbeitsleistung darf nicht zurückgehalten werden, wenn es sich nur um geringfügige oder kurzfristige Verstöße des Arbeitgebers handelt. Sobald ein bestehendes Zurückbehaltungsrecht vom Arbeitnehmer ausgeübt wird, befindet sich der Arbeitgeber im Annahmeverzug gem. § 615 BGB. Dies hat zur Folge, dass entgegen des Grundsatzes „Ohne Arbeit kein Lohn“ der Lohnanspruch des Arbeitnehmers nicht entfällt, obwohl der Arbeitnehmer gar nicht arbeitet.

Verletzt der Arbeitgeber eine Schutzpflicht nach § 618 BGB und wird dadurch die Gesundheit oder das Leben des Arbeitnehmers verletzt, so kann ein Schadensersatzanspruch gegeben sein. Ein Anspruch setzt voraus, dass der Arbeitgeber die Pflicht schuldhaft, d.h. vorsätzlich oder fahrlässig verletzt (§ 276 BGB).

Haftungsbeschränkung des § 104 SGB V                                

Der Schadensersatzanspruchs gegen den Arbeitgeber erfasst wegen § 104 SGB VII nur Sach- und Vermögensschäden: Für Personenschäden, die auf einem Versicherungsfall gem. § 7 Abs. 1 SGB VII (Arbeitsunfall und Berufskrankheit) zurückzuführen sind, ist die privatrechtliche Haftung des Arbeitgebers grundsätzlich gem. § 104 Abs. 1 SGB VII ausgeschlossen.  Dieser Haftungsausschluss gilt nicht für Wegeunfälle (§ 8 Abs. 2 Nr. 1-4 SGB VII) und vorsätzlich durch den Arbeitgeber verursachte Schäden. Der Vorsatz muss sich nicht nur auf die Verletzungshandlung, sondern auch den Verletzungserfolg beziehen („doppelter Vorsatz“). Anstelle eines Schadensersatzanspruchs gegen den Arbeitgeber steht dem Geschädigten ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (§§ 26 ff. SGB VII) zu. Gerechtfertigt wird die Haftungsbeschränkung damit, dass die gesetzliche Unfallversicherung als einziger Zweig der Sozialversicherung allein durch Arbeitgeber (§ 150 Abs. 1 SGB VII) finanziert wird (Finanzierungsargument). Darüber hinaus soll die Vorschrift auch den Betriebsfrieden wahren, der gefährdet wäre, wenn eine Auseinandersetzung über Schadensersatzansprüche zwischen den Parteien entstehen würde (Friedensargument).

Zusammengefasst: Wenn ein Arbeitgeber beispielsweise die Zufahrt nicht streut und der Arbeitnehmer sich dadurch wegen eines Sturzes verletzt oder wenn der Arbeitgeber offenes Asbest nicht schnell und sachgerecht entsorgt und dadurch der Arbeitnehmer eine schwere Erkrankung erleidet, so kann er zur Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen und insbesondere von Schmerzensgeld nicht an den Arbeitgeber wenden, sondern muss seine Ansprüche gegenüber der Unfallversicherung, der Berufsgenossenschaft geltend machen. Nur im Falle des doppelten Vorsatzes des Arbeitgebers können Ansprüche direkt gegenüber dem Arbeitgeber angemeldet werden.

Ausblick zur Entwicklung des Arbeitsschutzstandards

Das Bundesarbeitsministerium kündigte bezüglich des Arbeitsschutzstandards gegen das Coronavirus bereits an, dass weitere branchenspezifische Konkretisierungen der Schutzpflichten folgen werden.

Gerne stehen wir Ihnen für Fragen zur Verfügung.