Die Rechtmäßigkeitsprüfung
Sowohl auf Bundesebene durch die Arbeitsgerichte, Landesarbeitsgericht und das Bundesarbeitsgericht, wie auch auf europäischer Ebene durch den europäischen Gerichtshof wird dieser Umstand immer mehr zum Fokus einer neuen Rechtsprechung, die dem Missbrauch des Wissenschaftszeitgesetzes und unendlich langen Kettenbefristungen ohne wirklichen Grund Einhalt gebieten will.
Zunächst sind im Rahmen der Drittmittelfinanzierung auch wieder die Formalie zu prüfen:
Wissenschaftliches Personal
Wie dargestellt geht es dem Gesetzgeber darum, Arbeitgeber davor zu bewahren, hochbezahlte, spezialisierte Wissenschaftler unbegrenzt lange beschäftigen zu müssen. In der Praxis ist jedoch zu beobachten, dass auch zahlreiche reguläre Arbeitnehmer im Rahmen von angeblich drittmittelfinanzierten Projekten befristet beschäftigt werden.
Zunächst ist daher zu prüfen, ob man tatsächlich wissenschaftliches Personal im Sinne des Gesetzes ist.
Leider wird der Begriff des wissenschaftlichen Personals vom WissZeitVG nicht definiert. Alleine die Frage, ob man zum wissenschaftlichen Personal im Sinne des Wissenschaftszeitgesetzes gehört, kann einen gesamten Rechtsstreit ausmachen. Hier gibt es eine Vielzahl von Betrachtungsweisen, inhaltliche und aufgabenbezogene Definitionen.
Es existiert kein pauschaler Kriterienkatalog. Vereinfacht lässt sich sagen, je näher die Tätigkeit an der Forschung und am wissenschaftlichen Arbeiten liegt, desto eher wird man zum wissenschaftlichen Personal gehören. Die Mitarbeiter, die die Forschung unterstützen, selbst jedoch nicht wirklich wissenschaftlich tätig sind, zählen nicht zum wissenschaftlichen Personal, auch wenn sie in einem drittmittelfinanzierten Projekt eingesetzt werden. So zum Beispiel bei forschungsfremden Daueraufgaben.
Beispielhaft lässt sich sagen:
„So ist zweifelsohne der Wissenschaftler, der Forschungsergebnisse niederschreibt, im Rahmen seiner Forschung tätig. Diktiert er hingegen lediglich fremde Erkenntnisse, die von einer Sekretärin niedergeschrieben werden, so ist dies zwar Voraussetzung für die Publikation der Forschungsergebnisse, gleichwohl aber als Sekretariatsarbeit kein Bestandteil der Forschung.“
(Preis / Ulber § 1_Rn. 37 WissZeitVG)
Maßgeblich ist grundsätzliche Inhalt der Tätigkeit entsprechend der Tätigkeitsbeschreibung in Verbindung mit den Vereinbarungen im Arbeitsvertrag (ständige Rechtsprechung vgl. BAG, Urteil vom 20. 1. 2016 – 7 AZR 376/14)
Prognoseprinzip
Grundsätzlich richtet sich die Frage der Zulässigkeit der Befristung immer nach dem Prognoseprinzip: Konnte der Arbeitgeber zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses redlich und nachweisbar davon ausgegangen sein, dass die Befristung zulässig sein würde?
Eine spätere Entwicklung der Verhältnisse, die nicht vorhersehbar war, ändert an der Rechtswirksamkeit, aber auch an der eventuellen Rechtsunwirksamkeit der Befristung dann nichts mehr (BAG, Urteil vom 4. 6. 2003 – 7 AZR 523/02).
Die Drittmittelbefristung muss also im Zeitpunkt des Vertragsschlusses aufgrund der tatsächlichen Verhältnisse mit einiger Sicherheit feststehen.
Überwiegende Finanzierung auf Drittmittel
Wie der Name schon sagt, ist Dreh- und Angelpunkt der Drittmittelfinanzierung der, dass die Geldmittel dem Forschungsprojekt zum Großteil von externen Geldgebern zufließen. Dieser in der Theorie klare Prüfungspunkt ist in der Praxis oft ein hochkomplexer und aufwändiger Streitpunkt.
Grundsätzlich liegt die Beweislast für die Rechtmäßigkeit der Drittmittelfinanzierung beim Arbeitgeber. Er muss darlegen, dass die Arbeitsstelle zum Großteil von externen Geldgebern finanziert wurde. Hier ist es Aufgabe des Rechtsanwalts besonnen und kritisch die vom Arbeitgeber dargelegten Unterlagen zu sichten und zu prüfen. Oft muss mit buchhalterischer Genauigkeit, aber auch detektivischen Gespür die tatsächliche Finanzierung des Arbeitsplatzes nachgeprüft werden.
Beschäftigung im Rahmen der Drittmittelfinanzierung
Die meisten Rechtsstreitigkeiten finden bei der Frage der Beschäftigung im Rahmen der Drittmittelfinanzierung ihren Höhepunkt. Zwar kann auch bei den anderen Prüfungspunkten wie dargestellt heiß diskutiert werden, die entscheidende Frage wird sich in vielen Rechtsstreitigkeiten aber bei der tatsächlichen Beschäftigung im Rahmen der Drittmittelfinanzierung stellen.
War der Arbeitnehmer wirklich im drittmittelfinanzierten Projekt tätig?
Oftmals versuchte der Arbeitgeber eine Beschäftigung in einem drittmittelfinanzierten Projekt darzustellen, die sich bei näherem Hinsehen aber so nicht ergibt:
Hier sind zahlreiche Konstellationen denkbar.
Einige Beispiele:
- Der Arbeitnehmer ist über Jahre hinweg in verschiedenen Projekte eingesetzt, geht aber tatsächlich immer seiner eigenen Forschung nach
- Der Arbeitnehmer ist im Rahmen einer technischen Unterstützung in verschiedenen drittmittelfinanzierten Projekten tätig. Seine Tätigkeit kann damit gar nicht einem speziellen Projekten zugeordnet sein.
- Der Arbeitnehmer ist womöglich gar nicht mit dem drittmittelfinanzierten Projekt betraut und arbeitet unabhängig davon.
Missbrauchskontrolle
Die größte Bewegung erlebt die Rechtssprechung gerade bei der Frage der Missbrauchskontrolle.
Spätestens seit der viel beachteten „Kücüc“ Entscheidung (BAG Urteil vom 18.7.2012, 7 AZR 443/09 vgl. hierzu unseren Blogbeitrag zur Befristungsampel) hat der EuGH klargestellt, dass auch Befristungen, die sich im Rahmen dasgesetzlich möglich bewegen, dennoch rechtswidrig sein können, wenn sie den Arbeitnehmer unnötig und übermäßig belasten.
Sowohl das Bundesarbeitsgericht als auch der europäische Gerichtshof haben ausdrücklich in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass die Maßstäbe der Missbrauchskontrolle auch bei Befristungen nach dem WissZeitVG Anwendung finden.
Hierzu das BAG:
„Die Gerichte dürfen sich bei der Befristungskontrolle nicht auf die Prüfung des geltend gemachten Sachgrunds beschränken. Sie sind vielmehr aus unionsrechtlichen Gründen verpflichtet, auch bei Vorliegen eines Sachgrunds für die Befristung durch Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls auszuschließen, dass Arbeitgeber missbräuchlich auf befristete Arbeitsverträge zurückgreifen (EuGH 26. November2014 - C-22/13 ua. - [Mascolo] Rn. 102 ff.; 26. Januar 2012 - C-586/10 - [Kücük] Rn. 40).“
_[..]
Dies gilt auch bei einer auf § 2 Abs. 2 WissZeitVG gestützten Befristung. Auch dabei handelt es sich - im Gegensatz zur Befristung nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG - um eine Sachgrundbefristung. Diese zusätzliche Prüfung ist im deutschen Recht nach den Grundsätzen des institutionellen Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) vorzunehmen.“
Eine sehr große Anzahl von Befristungen im Rahmen des Wissenschaftszeitgesetz wird spätestens bei der Frage der Missbrauchskontrolle scheitern. Auch wenn alle anderen Prüfungspunkte zum Ergebnis kommen, dass die Befristung gesetzmäßig war, so ist dennoch möglich, dass sie aufgrund rechtsmissbräuchlicher Anwendung rechtswidrig war.
Mehr noch als bei allen anderen Prüfungspunkten ist die Frage der rechtsmissbräuchlichen Anwendung einzelfallabhängig und individuell zu prüfen.
Das Bundesarbeitsgericht stellt in allen Entscheidungen darauf ab, dass eine umfassende Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls durchzuführen ist, anhand derer rechtsmissbräuchliches Handeln des Arbeitgebers gemessen wird.
Einige Kriterien sind:
- die Vorgeschichte und mögliche Befristungen in der Vergangenheit (Wurde beispielsweise die Befristungsdauer bereits im Rahmen der Fortbildungsbefristung voll ausgeschöpft, um danach eine angebliche erittmittelfinanzierte Befristung fortzusetzen.)
- Wie viele Einzelverträge lagen vor?
- Über welchen Zeitraum wurde jeweils befristet?
- Wie lange geht die das Arbeitsverhältnis insgesamt?
- Wurde stets aus verschiedenen Gründen befristet?
- Wurden verschiedene Arbeitsstellen durchlaufen oder war man immer an der gleichen Arbeitsstelle beschäftigt?
An dieser Stelle empfehlen wir nochmals unser Blogbeitrag zu Befristungsampel.
Darüber hinaus sind viele andere Kriterien denkbar, die, wie gesagt, im individuellen Fall berücksichtigt werden müssen. Gerade die Frage der Missbrauchskontrolle wird derzeit höchstrichterlich immer wieder behandelt. Hier muss sich ein Anwalt stets auf dem aktuellen Wissensstand halten und die aktuelle Rechtsprechung im Blick haben.